Plattdeutsch lebt vom Mitmachen
Plattdeutsch: das gehört zu Johanna Bojarra wie der Sand zur Ostsee. Sie liebt und lebt die Sprache, seit sie denken kann. Zu Hause. Auf der Bühne. Und im Beruf. So, wie jetzt beim Heimatverband. Ihr Credo: Plattdeutsch lebt vom Mitmachen. Teil 13 unserer Serie „Plattdeutsch in MV“: ein Interview auf Hochdeutsch und Platt.
Haben Sie heute schon Plattdeutsch gesprochen?
Johanna Bojarra: Ja, natürlich. Gleich nach dem Aufstehen, mit meinem kleinen Sohn. Mit ihm spreche ich ausschließlich Plattdeutsch. Der Tag beginnt deshalb mit „Gauden Morgen. Hest du gaut schlåpen?“ und einer Umarmung.
Hebben Sei hüt all Plattdüütsch schnackt?
Johanna Bojarra: Jo, na klor. Glieks nå dat Upståhn, mit mienen lütten Sœhn. Mit em schnack ik blots Platt. De Dach geiht also los mit „Gauden Morgen. Hest du gaut schlåpen?“. Un mit Kuscheln un’n Säuten natürlich.
Spricht Ihr Sohn auch Plattdeutsch?
Johanna Bojarra: Ein bisschen. Er versteht fast alles, antwortet aber größtenteils auf Hochdeutsch.
Schnackt Sei Ehr Sœhn ok Platt?
Johanna Bojarra: So’n lütt bäten. Hei versteiht binåh allens, schnackt åwer mihrstendeils up Hochdüütsch trüch.
Sie selbst sprechen seit Kindheitstagen Plattdeutsch. Woher kommt Ihr Interesse für die Sprache?
Johanna Bojarra: Meine Mutter hat mit mir ebenfalls von Anfang an viel Plattdeutsch gesprochen. Auch außerhalb der Familie hat sie sich für die Sprache engagiert, mich oft zu Veranstaltungen mitgenommen. Manchmal habe ich dort dann plattdeutsche Gedichte vorgetragen. Das fand ich toll. Und spannend. Plattdeutsch gehörte also irgendwie schon immer zu meinem Leben.
Sei schnacken Platt siet Kinnertieden. Wo kümmt Sei Ehr Interess för de Språk her?
Johanna Bojarra: Mien Mudding hett mit mi dunnemals väl Platt schnackt. Ok näben de Fomilie hett sei sik för’t Plattdüütsche insett, mi ofteins tau Veranstaltungen mitnåhmen. Af un an heff ik plattdüütsche Rimels und Gedichten vördrägen. Dat hett mi gaut gefollen. Un wier spannend. Plattdüütsch wier also ümmer ein wichtigen Deil in mien Läben.
Wie ist es Ihnen gelungen, sprachlich am Ball zu bleiben?
Johanna Bojarra: Ich glaube, das liegt daran, dass Plattdeutsch für mich stets eine sehr lebendige Sprache war. Irgendjemand in meinem Umfeld hat es immer gesprochen. Aber natürlich habe ich auch als Kind schon gemerkt: Üblich ist das nicht. Freunde in meinem Alter konnten mit der Sprache nur wenig anfangen. Und auch heute ist das in meiner Altersgruppe – ich bin jetzt 36 – noch häufig so.
Woans hebben Sei dat schafft, dorbi tau blieben?
Johanna Bojarra: Ik glöf, dat hett dormit tau daun, dat Plattdüütsch för mi ümmer lebennig wier. Jichtensein in mien Ümfeld hett dat ümmer schnackt. Åwer all as Kind orrer junge Diern heff ik markt: Dat is nich Normalität. Frünn’ in mien Öller kunnen dor nich väl mit anfangen. Un ok hütigendågs is dat in miene Öllersgrupp - ik bün nu söss-un-dörtig - noch ofteins so.
Bei welchen Gelegenheiten sprechen Sie denn Platt?
Johanna Bojarra: Bei meiner Arbeit im Heimatverband ist Plattdeutsch mein ständiger Begleiter. Privat spreche ich es zum Beispiel bei der Niederdeutschen Bühne Rostock. Bei unserem Plattdeutsch-Stammtisch. In meiner Familie. Oder wenn ich mit meinem Sohn unterwegs bin, beim Einkaufen oder auf dem Spielplatz.
In wat för Situatschonen schnacken Sei denn Platt?
Johanna Bojarra: Bi miene Arbeid bi denn Heimatverband is Platt ümmer präsent. Privat schnack ik Platt tau’n Bispill bi de Nedderdüütsche Bühn Rostock. Bi uns Plattdüütsch-Stammkring. In miene Fomilie. Orrer wenn ik mit mienen Sœhn ünnerwägens bün, bi’t Inköpen orrer up’n Spälplatz.
Wie reagieren die Menschen im Supermarkt oder am Spielplatz darauf?
Johanna Bojarra: Manche schauen erstaunt. Andere sprechen mich darauf an, sogar schon einmal auf Platt. Die Reaktionen sind bislang durchweg positiv und waren schon oft ein Türöffner für nette Gespräche.
Woans reagieren de Minschen in de Kophall orrer up’n Spälplatz?
Johanna Bojarra: De ein orrer anner kiekt ’n bäten verwunnert. Anner Lüd schnacken mi dor up an, sogar eins up Platt. De Reaktschonen wieren åwer ümmer positiv. Dor keemen nette Schnacks taustann.
Seit Jahresbeginn sind Sie beim Heimatverband MV Referentin für Niederdeutsch und immaterielles Kulturerbe. Was macht eine solche Referentin?
Johanna Bojarra: Kurz gesagt, bin ich Ansprechpartnerin für alle Belange, die die niederdeutsche Sprache und das immaterielle Kulturerbe betreffen. Praktisch bin ich dazu viel im Land unterwegs. Um Kontakte zu knüpfen oder pflegen, Netzwerke zu erweitern. Im Hinblick auf das Niederdeutsche sind die Plattdeutschen Wochen, die plattdeutschen Ortszusatzschilder, die Runden Tische Niederdeutsch, die Sitzungen des Arbeitskreises Niederdeutsch oder der Wettbewerb zum plattdeutschen Wort des Jahres ein großes Themenfeld. Sie planen eine plattdeutsche Veranstaltung? Möchten etwas ins Plattdeutsche übersetzen? Oder sich zum Thema „Heimatschatzkiste“ weiterbilden? Auch dann helfe ich weiter. Entweder direkt oder mit Kontakten.
Siet dit Johr arbeiden Sei bi denn Heimatverband MV as Referentsche för Nedderdüütsch un Immateriellet Kulturarf. Wat måken Sei dor?
Johanna Bojarra: Kort un knapp, ik bün Anspräkpartnersche för allens, wat mit dat Nedderdüütsche un IKE tau daun hett. So bün ik ok väl in’t Land ünnerwägens. Möt Kontakte knüppen un plägen, nettwarken. Wat Plattdüütsch angeiht, sünd de Plattdüütschen Wochen, de plattdüütschen Uurtsschiller, de Runnen Dische Plattdüütsch, de Sitten von’n Arbeitskrink Nedderdüütsch un de Wettstriet tau dat Plattdüütsche Wuurt von’t Johr grote Upgawen. Sei planen ’ne plattdüütsche Veranstaltung? Müchten wat in’t Plattdüütsche œwersetten? Orrer sik tau de „Heimatschatzkist“ wiererbillen? Ok dor help ik wierer. Direkt orrer mit Kontakten.
Die Landesverfassung verpflichtet das Land, die niederdeutsche Sprache zu schützen, zu pflegen und zu fördern. Soweit die Theorie. Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Praxis?
Johanna Bojarra: Ein Beirat für Heimatpflege und Niederdeutsch. Die Heimatschatzkiste. Eine Plattdeutsch-Botschafterin. Oder ganz aktuell ein Modellprojekt für Niederdeutsch in Kitas. Das Land hat – vor allem mit dem Landesheimatprogramm – diesbezüglich einiges auf den Weg gebracht. Der Großteil des Engagements liegt jedoch auf ehrenamtlicher Ebene vor Ort. Bei Initiativen und Vereinen, zum Beispiel. Das Niederdeutsche lebendig zu halten, kann aber nicht vordergründig auf den Schultern von Ehrenamtlichen liegen. Ich finde, es müsste mehr hauptamtliche Stellen geben. Andere Bundesländer sind da schon einen Schritt weiter.
Dat Land is dörch de Verfåtung in de Plicht, de nedderdüütsche Språk tau schützen, tau plägen un tau föddern. So de Theorie. Woans süht dat in de Praxis ut?
Johanna Bojarra: Ein Birat för Heimatplääch un Nedderdüütsch. De Heimatschatzkist. ’ne Plattbotschaftersch. Orrer ganz aktuell ein Modellprojekt för Nedderdüütsch in Kitas. Dat Land hett - vör allen Dingen mit dat Lannsheimatprogramm - bannig wat up denn Wech bröcht. Denn gröttsten Deil von dat Engagement licht åwer bi dat Ihrenamt. Bi Initiativen un Vereinen, tau’n Bispill. Dat Plattdüütsch lebennig blifft, kann åwer nich blots up de Schullern von Lüd ut dat Ihrenamt liggen. Ik finn, dat möt mihr hauptamtlich Städen för Plattdüütsch gäben. Anner Bunnslänner sünd dor all ’n bäten wierer.
Sie schreiben gerade an Ihrem zweiten Kinderbuch auf Platt. Darin ist „Lütt Mariken ünnerwägens in de Stadt“. Wie einfach ist es, Kindern die plattdeutsche Sprache näher zu bringen und was ist die größte Herausforderung dabei?
Johanna Bojarra: Ich habe einige Jahre als Erzieherin gearbeitet. Meine Erfahrung ist, dass Kinder sehr offen und neugierig für neue Dinge sind. Vor allem dann, wenn das Spielerische im Vordergrund steht und sie viel entdecken oder ausprobieren können. Das können ganz einfache Dinge sein: Beim Seilspringen die Sprünge auf Plattdeutsch mitzählen. Geburtstagskindern ein Lied auf Plattdeutsch singen. Oder gemeinsam Geschichten erkunden. Die größte Herausforderung ist, diese sprachlichen Anfänge über die Kita- oder Grundschulzeit hinaus am Leben zu halten und weiterzuentwickeln. Denn dann nehmen viele schulische Angebote signifikant ab.
Sei schriewen gråd denn 2. Deil von Sei Ehr Kinnerbauk. Dor is „Lütt-Mariken ünnerwägens in de Stadt“. Wo einfach is dat, Kinner an de plattdüütsche Språk rantauführen un wat is dor de gröttste Rutföddern bi?
Johanna Bojarra: Ik heff ’n poor Johren as Erzieherin arbeid un markt, dat Kinner bannig niegelich un åpen för niege Såken sünd. Gråd wenn dat in’t Späl passieren deit un sei sülfst väl entdecken un utprobiern kœnen. Dat geiht mit ganz einfache Middeln: Bi’t Seilhüppen de Sprüng up Platt tellen. ’n Geburtsdachsleed up Platt singen. Orrer gemeinsam Geschichten erkunnen.
De gröttste Rutföddern is dorbi, dat dat ok nå Kinnergoorn un Grundschaul noch wierer geiht. Dor gifft dat leider ofteins väl tau wenig Angebote för.
Wedderbruk (Recycling). Strommœhl (Windkraftanlage). Plietschfon (Smartphone). Tippschnack (Chat). Bummelbian (E-Mail-Anhang): Auch die plattdeutsche Sprache geht mit der Zeit. Wie entstehen solche neuen Begriffe?
Johanna Bojarra: Indem sich viele plietsche und kreative Leute auf die Weiterentwicklung der Sprache einlassen. Die Impulse dafür kommen aus zwei Richtungen. Zum einen sind es plattdeutsche Sprachexperten, die sich mit Sprachausbau befassen. Zum anderen tragen aber Laien dazu bei, zum Beispiel über Wettbewerbe wie das „Plattdeutsche Wort des Jahres“. Der Wettbewerb in MV sucht ja neben einem Wort und einer Redewendung explizit auch Wortneuschöpfungen. Wenn Sie sich die Beispiele aus der Frage anschauen, sehen Sie: Manchmal sind die Begriffe sehr bildlich. Manchmal liegen ihnen aber – wie bei Bummelbian – auch bereits vorhandene Begriffe zugrunde, die um neue Komponenten erweitert werden.
Wedderbruk. Strommœhl. Plietschfon. Tippschnack. Bummelbian: Ok de plattdüütsche Språk geiht mit de Tiet. Woans kåmen disse niegen Wüür taustann?
Johanna Bojarra: Dörch väle plietsche un kreative Lüd, de sik up de Språk un up dat Wiererentwickeln von de Språk inlåten. Impulse kåmen dor ut twei Richtungen. Up de ein Siet von Plattdüütschexperten, de sik mit Språkutbu utenannersetten. Un up de anner Siet von Lüd, de keine Profis sünd, åwer tau’n Bispill an denn Wettstriet tau dat „Plattdüüsche Wuurt von’t Johr" mitmåken. Dor warden - näben dat schönste Wuurt un denn schönsten Schnack - ok explizit niege Wüür söcht. Kieken Sei sik de Bispäle ut de Fråch an - männigmål sünd de Wüür bannig bildlich. Af un an finnt’ ein de Wüür åwer ok all in’t Wüürbauk - so as bi „Bummelbian“. Dor gifft dat för ein ollet Wuurt nu ’ne niege Bedüdung.
Vielleicht gibt es Menschen, die sagen: Ich würde auch gern Plattdeutsch sprechen. Haben Sie einen Tipp, wie man am besten damit anfängt?
Johanna Bojarra: Da gibt es viele Möglichkeiten. Die neue Beo-App, beispielsweise. Sie führt die Nutzer spielerisch an die Sprache heran. Hilfreich können auch Podcasts sein. Zum Beispiel „klookluustert“ vom Niederdeutschsekretariat. Oder (Kinder)Bücher. Plattdeutsche Vereine oder (Theater)Gruppen sind ebenfalls eine gute Gelegenheit, die Sprache zu hören und zu sprechen. Vielleicht haben Sie auch Kinder, die in der Kita oder Schule Plattdeutsch haben? Dann lernen Sie doch als Familie gemeinsam. Ganz gleich, welcher Weg einem besser liegt: Lassen Sie sich auf die Sprache ein, haben Sie Spaß und vor allem Geduld mit sich. Der Rest kommt dann fast von allein.
Villicht gifft dat Minschen, de seggen: Ik würd ok so giern Platt schnacken. Hebben Sei ’n Tipp woans ein an’n besten anfangen kann?
Johanna Bojarra: Dor gifft dat väle Mœglichkeiten. De niege Beo-App, tau’n Bispill, wo ein modern un mit Spåß ierste Vokabeln up Platt lihren kann. Podcasts sünd ok ’ne gaude Hülp, so as „klooklustert“ von’t Nedderdüütschsekretariat. Orrer (Kinner)Bäuker. Plattdüütsche Vereine un (Theater)Gruppen sünd ’ne gaude Gelägenheit, dat ein de Språk hüürt un in’t Schnacken kümmt. Villicht hebben Sei ok Kinner, de in’n Kinnergoorn orrer in de Schaul Platt lihren? Denn äuben Sei de Språk doch tausåmen in de Fomilie. Ganz egål, woans Sei anfangen: Låten Sei sik up de Språk in un hebben Sei Geduld mit sik. De Rest kümmt denn binåh von ganz allein.
Wenn Sie drei Wünsche für mehr Plattdeutsch in MV frei hätten: Welche wären das?
Johanna Bojarra: Ich würde mir wünschen, dass Plattdeutsch im täglichen Leben sichtbarer wird. Beim Einkaufen, in den Medien, im Amt, zum Beispiel. Und dass diejenigen, die Plattdeutsch sprechen können, die Sprache – wenn überhaupt – nicht nur innerhalb der Familie sprechen, sondern stärker nach außen tragen. Wünschen würde ich mir auch mehr Angebote, die sich an 20- bis 50-Jährige wenden.
Wenn Sei sik drei Såken för Plattdüütsch in MV wünschen kunnen: Wat wier dat?
Johanna Bojarra: Ik würd mi wünschen, dat Plattdüütsch in uns Alldach wedder mihr tau seihn un hüren is. Bi’t Inköpen, in de Medien, up’t Amt, tau’n Bispill. Un dat all de Lüd, de Platt schnacken kœnen, ok Platt schnacken - wenn œwerhaupt - nich blots in de Fomilie, sünnern dat ok buten in de Welt rutposaunen. Wünschen würd ik mi ok, dat mihr Angebote schafft warden för Lüd twüschen 20 un 50 Johren.
Übersetzung ins Plattdeutsche: Johanna Bojarra