24.10.2016

Vom Unternehmensberater zum Knallfrosch

Das Logenhaus von außen.
In diesem Haus sind die Schweriner Schlaraffen am Schlachtermarkt zu finden.
Auf dem alten Vereinsbuch ist ein Ritter auf einem Pferd abgebildet. Dazu ein Wappen.
Das Vereinsbuch der Schlaraffen erzählt aus vergangenen Zeiten.

Das Schlaraffenland liegt nur einen Katzensprung entfernt vom Schweriner Dom. Im Keller eines klitzekleinen, gelb leuchtenden Fachwerkhauses. In dessen Türrahmen steht ein Mann, groß, lange Haare. Harry Potter Brille. Breit grinsend von einem Ohr zum anderen stellt er sich als Knallfrosch vor. Ritter Knallfrosch. Jetzt grinsen zwei. Gemeinsam steigen wir hinab in den Keller, in die Burg der Schlaraffia Suerina. Der einzigen Herrengesellschaft dieser Art in Mecklenburg-Vorpommern.

Dort versucht mir Michael Lehmann-Kahler zu erklären, was es mit den Schlaraffen auf sich hat. „Es ist“, so stellt er unumwunden fest, „kein Verein der aus der Tiefe kommt. Kein Geheimbund wie die Freimaurer.“ In dessen Logenhaus haben sie sich zwar eingemietet, aber viel mehr Gemeinsamkeiten gibt es da wohl nicht. „Und“, betont Ritter Knallfrosch, „wir sind auch kein Karnevalsverein.“ Ein kurzer Ausflug in die Geschichte verdeutlicht, worum es den Herren geht. Im Jahr 1859 gründeten 23 deutsche Künstler und Kunstfreunde in Prag auf betreiben von Theaterdirektor Franz Thomé die Schlaraffia. Mit ihr schufen sie sich ein wahres Schlaraffenland des Geistes. Gemeinsam verfolgten sie das Ziel, Kunst, Humor und Freundschaft zu pflegen. Alsbald breitete sich der Männerbund auf dem ganzen Erdball aus. Noch heute pflegen rund 11 000 Schlaraffen weltweit verstreut in 260 Vereinen diese Tradition. Unter allen Herrengesellschaften ist die Schlaraffia wohl die fröhlichste und die einzige, in der weltweit deutsch gesprochen wird. Doch was heißt eigentlich Schlaraffe? Das Wort stammt aus dem mittelhoch-deutschen „Slur-Affe“ und bedeutete damals „sorgloser Genießer“. In Schwerin tauchten die ersten Genießer im Jahr 1885 auf. Zu jener Zeit wurde die Schlaraffia Suerina 79, Das Obotritenreych, geboren. Mit der Blütezeit des Schweriner Theaters um 1900 stieg deren Sassenzahl (Mitglieder) stark an. Bis heute hat sich am Prozedere, den Symbolen und dem schlaraffischen Spiel nichts geändert. „Im Grunde ist es wie Stehgreif-Theater“, meint Michael Lehmann-Kahler, der inzwischen einer von drei Oberschlaraffen in Schwerin ist. „Unsere Abende sind gefüllt mit künstlerischen Darbietungen, Musik und Wortspielereien.“ Obwohl es viele Regeln gibt, ist es ein freies Spiel. Jeder Knappe, Junker und Ritter trägt mit dem bei, was er kann und will oder man schaut einfach nur zu. Alles ist freiwillig. Zu jeder Sippung (Zusammenkunft) werden Themen festgelegt. Die Herren benutzen ganz eigene Ausdrücke für alltägliche Dinge , ihr Schlaraffenlatein. Dadurch bekommen die Zusammenkünfte ihre eigene, humorvolle Note. Manchmal setzen die Männer auch Helme auf. Dann wird gefochten – im geistigen Sinne. Nie fallen Wörter unter der Gürtellinie. Es ist ein fröhliches Ritterspiel. „Und steht Männern aus allen Berufsgruppen offen“, sagt Michael Lehmann-Kahler. „Wir haben Schauspieler, Orchesterleute, Unternehmer, Rechtsanwälte und Ärzte unter uns. Aus Schwerin und der umliegenden Region. Ab und an kommen auch Pilger aus befreundeten Reichen angeritten. Politische Gespräche führen wir Schlaraffen nicht. Wir machen uns aber schon über politische Gepflogenheiten lustig. Wir veralbern Eitelkeiten und Dünkeltum. Aus diesem Grunde schmücken wir uns mit Klimperzeug, wie Orden und Ketten. Als Erkennungsmal tragen wir Schlaraffen eine silberne Nadel, die Rolandsnadel.“ Wie alle Schlaraffen, verehrt auch Ritter Knallfrosch den Uhu. Denn der galt ja bekanntlich schon in der Antike als Vogel der Weisheit. Als Kind hat Michael Lehmann-Kahler den Vogel oft bei seinem Großvater und dem Großonkel entdeckt. Sie waren beide Schlaraffen, haben den jungen Michael aber nie eingeweiht. Der fand indes schon damals die Aufzeichnungen, in denen er blätterte, sehr witzig. Erst viel später, vor fünfzehn Jahren, setzte der Unternehmensberater seinen ersten Schritt in eine Schlaraffen-Burg. Seitdem frönt er dem fröhlichen Spiel. So ganz ohne Frauen. Doch die werden nicht ganz ausgeschlossen. Es gibt viele gemeinsame Unternehmungen und Feste, bei denen die Burgfrauen und der Tross (Familie) mit dabei ist. „Es ist wichtig, dass die Frauen dem, was ihre Männer machen, positiv gestimmt sind“, betont der Oberschlaraffe. „Sind sie es nicht, verlieren wir unsere Sassen.“ Das wäre schmerzhaft für die Schlaraffia Suerina. Denn die droht heute wegen Überalterung auszusterben. Das wäre dann die dritte Uhu-Finsternis, die über den Männerbund hereinbrechen würde. Obwohl in der Schlaraffia die Themen Politik und Religion streng verpönt waren, wurde sie deutschlandweit vom NS-Regime zur Auflösung gezwungen. (1. Uhu-Finsternis). Im Jahr 1937 feierte die Schlaraffia Suerina noch ihr 50. Stiftungsfest, dann wurden die Pforten geschlossen. „Es brach völlige Uhufinsternis über das Reych und seine Sassen herein“, heißt es in überlieferten Dokumenten der Herrengesellschaft. „Selbst die festesten Sassen schämten sich nicht Ihrer Tränen, als zum letzten Mal das Sippungsschlußlied und das ,Lulu Praga’ erklangen und alle Sassen sich noch einmal die Hand reichten, um sich Freundschaft bis zum letzten Atemzug zu geloben.“ Auch in der DDR konnte die Schlaraffia nicht offen ihren Ritterspielen frönen. Viele Reiche sind in dieser Zeit zerfallen. Manche Mutige, die sich heimlich in Wohnungen trafen, sicherten den Fortbestand. In Schwerin durften sich die Schlaraffen nicht mehr in der Theaterklause treffen. Man bot ihnen an, dem Kulturbund beizutreten. Aber sie dachten nicht daran, ihre geistige Selbständigkeit aufzugeben. So begannen auch sie im verborgenen weiter zu sippen. 30 Jahre dauerte diese zweite Uhufinsternis. Oberschlaraffe Michael Lehmann-Kahler ist froh, dass der Männerbund die freudlosen Zeiten überdauerte. Sonst würde ihm heute in seinem Leben etwas fehlen. Im Uhu-Universum findet der Unternehmensberater einen wohltuenden Ausgleich zur oberflächlichen Zeit. „Jeder Schlaraffe entwickelt im Laufe seines schlaraffischen Lebens eine eigene Persönlichkeit. In andere Rollen hineinzuschlüpfen ist sehr entspannend. Absolut an nichts anderes denken. Herrlich! Das ist einfach unbezahlbar.“ Für interessierte Mannen: Der Weg ins Schlaraffenland führt über den Schlachtermarkt zum Logenhaus „Am Schlachtermarkt 17“. Von Oktober bis April trifft sich der Männerbund jeden Mittwoch um 19.30 Uhr. Erhellende Infos gibt Vereinsvorsitzender Dr. Waldemar Seyffert seyffert.neuhof@remove-this.web.de. Autorin: Anja Bölck

Ein Saal, in dem Frauen und Männer tanzen.

„Tanzen ist die Poesie des Fußes“

Dieses Zitat des Dichters John Dryden ist auf der Homepage des Ballhauses Goldfisch zu finden. Der Poesie folgen dort mehr als 100 Menschen: Junge und ältere, solche mit einer Begeisterung für Standardtänze und andere, die Salsa und Tango im Blut haben...

Ein Raum voller Menschen. Sie sitzen an Tischen.

Anders leben auf dem Land

Es war einmal ein Dorf, das lag so einsam und verlassen am Rande der Mecklenburgischen Schweiz, dass es wohl fast vom Erdboden verschwunden wäre, wenn nicht… eines Tages Menschen vorbeigekommen wären, die sich nach einem anderen Leben sehnten. In Lüchow...