08.12.2019

Erzähl mir vom Tod

Liana Döscher und Anke Erika Thöm sitzen auf bzw. vor einem Stuhl. Auf dem Boden vor ihnen liegt ein Tuch. Darauf stehen drei Kerzen und liegen Bücher.
Über den Tod zu sprechen – für Liana Döscher (l.) und Anke Erika Thöm kommt das in der Gesellschaft viel zu kurz. Mit ihrem Café Endlichkeit wollen sie das ändern.

Der Tod ist ein Arschloch! Das weiß Anke Erika Thöm nur zu gut. Zwei Männer hat er ihr genommen. Heute holt sie sich den Tod einmal im Monat in ihre Mitte. Bei Kaffee und Kuchen. Willkommen im Café Endlichkeit.

Eines Tages als Diamant enden? Das kann sich die ältere Dame, sie mag um die 60 sein, für ihre Asche beim besten Willen nicht vorstellen. „Ich möchte nicht an einer Wand oder einem Hals hängen.“ Die Frau neben ihr, Anfang 20, findet diesen Gedanken gar nicht so schlecht. Sie würde jedenfalls lieber an einem Hals hängen, als auf einer Streuwiese von Vögeln angepickt zu werden. Heiterkeit geht durch die Runde. Die Runde, das sind an diesem Novembermittwoch sieben Café-Gäste: Die ältere Dame. Die junge Frau. Drei Frauen im Alter dazwischen. Eine jenseits davon. Und ein junger Mann um die 20. Das Café ist ein kleiner Raum mit Fachwerkbalken im zweiten Stock des Kornhauses. Inmitten des Klostergeländes von Bad Doberan. Jeden zweiten Mittwoch im Monat mieten sich Anke Erika Thöm und Liana Döscher hier ein. Stellen Stühle in einen Kreis, drei dicke Kerzen in die Mitte, Kaffee, Tee und Kuchen auf den Tisch an der Seite.

"Wir sind keine Trauergruppe"

Als Anke Erika Thöm die Idee mit dem Café Liana Döscher erzählt, findet sie sofort eine Verbündete. Ihr Vater starb vor sechseinhalb Jahren. „Ich konnte ihn lange nicht loslassen.“ In der Familie wird darüber nicht geredet. Das Café verspricht Hoffnung. Beide wenden sich dagegen, dass um die Geburt ein großes Gewese gemacht, das Ende des Lebens aber totgeschwiegen wird. „Viele Angehörige fühlen sich mit ihrer Trauer allein.“ Hier, im Kornhaus, wollen sie dem Thema Raum geben. Über Erfahrungen sprechen. Sich Gedanken über den Tod machen. Und über ein erfülltes Leben. Eines steht für sie ausdrücklich nicht im Vordergrund: Trauerarbeit. „Wir sind keine Trauer- oder Selbsthilfegruppe.“ Im vergangenen Januar laden sie zum ersten Mal ein. Die Resonanz: „Überwältigend.“ 36 Neugierige sind dabei. Heute besuchen das Café im Schnitt 4 bis 16 Leute. Viele inzwischen als Stammgäste. Nicht jeder ist hier, weil er einen geliebten Menschen verloren hat. Manchen geht es einfach nur darum, über Leben und Tod zu sinnieren.

Schweiz, England, Bad Doberan

Worüber sie zwei Stunden lang miteinander sprechen, das ergibt sich. Aus dem, was die Gruppe auf dem Herzen hat. Oder den Impulsen, die Anke Erika Thöm und Liana Döscher in die Runde tragen. Aufhänger für die Schmuckdiskussion ist ein Zeitungsartikel, in dem eine Kommission dem Landtag empfiehlt, den Friedhofszwang zu lockern. Wer möchte, spricht mit. Wer nicht, hört einfach nur zu. Zum Friedhofszwang sagt jeder etwas. Die Idee, bei Kaffee und Kuchen über Sterbekultur zu plaudern, ist nicht neu. Vorbild für das Angebot in Bad Doberan ist eine internationale Bewegung. 2004 lädt der Schweizer Soziologe Bernard Crettaz zum ersten „Café mortel“. Eine Handvoll Jahre später greift Jon Underwood aus England den Gedanken auf. Sein „Death Café“ findet weltweit Nachahmer. Und inspiriert schließlich auch Anke Erika Thöm und Liana Döscher. Auch wenn sie den Tod ganz bewusst in ihre Mitte holen, im Namen ihres Cafés möchten sie ihn nicht haben. „Endlichkeit hat auch viel mit Leben zu tun.“ Jetzt haben sich beide Frauen vorgenommen, einen Verein zu gründen. „MOMENTumLEBEN“ soll er heißen, mehr als nur das Café werden. „Wir wollen auch jungen Leuten eine Plattform geben.“

Eine Frage, viele Emotionen

Zum Schluss des Novembertreffens schneidet Anke Erika Thöm noch „ein brisantes Thema“ an: Weihnachten! „Welche Emotionen verbindet ihr damit?“ Stress! Traurigkeit! Schöne Momente mit der Familie! Angst vor dem Alleinsein! Eine der älteren Damen weiß noch nicht, wie sie die Tage verbringen wird. Sie möchte ihren Kindern nicht zur Last fallen. Die Empfehlung aus der Runde: „Sprich mit ihnen darüber.“ Nach gut zwei Stunden ist für diesmal alles gesagt. Darüber, ob Abschied einen festen Ort braucht. Über das Gefühl, als sendeten Verstorbene manchmal noch Zeichen. Und über Kulturen, in denen Weihnachten auch ein Fest der offenen Türen ist. Am 11. Dezember werden Anke Erika Thöm und Liana Döscher den Tod das nächste Mal in ihre Runde einladen. Und ihm auch dann wieder das Leben gegenüberstellen.