16.06.2018

Gnädige Frau, was tragen Sie eigentlich drunter?

Eine Frau in einem historischen Kleid. In der Hand hält sie einen aufgespannten Sonnenschirm.
Bereit zum Ausgehen! Die imposanten Kleider zogen zum Schlossfest viele Blicke auf sich. Die meisten von ihnen haben die Frauen vom Schlossverein selbst genäht.
Eine Frau hält einen kleinen Nachttopf hoch.
Nein, das ist keine Sauciere. Auch feine Damen müssen mal. Da war so ein Bourdalou eine praktische Sache...

Wenn sich Anja Klütz als feine Dame gibt, dann ist es meist nur eine Frage der Zeit, bis die Neugier ihr verbal an die Wäsche geht. Zum Schlossfest lüftete sie bereitwillig ihren Rock. Was darunter zum Vorschein kam, war alles andere als schlüpfrig.

„Darüber und Darunter – Kleid, Korsett, Kinoline, 15.15 Uhr, Wilhelmszimmer.“ Die Neugier füllt die Stühle fast bis auf den letzten Platz. Die Luft steht warm im Raum. Wer jetzt seine Strickjacke auszieht, an dem ist keine feine Dame verlorengegangen. Haut zeigen? Das schickte sich nicht um 1850. Strümpfe. Halter. Der Zeitsprung startet im Verborgenen.

Als Anja Klütz hinter dem Paravent hervorkommt, ist sie schon zwei Lagen weiter. Wer heute Korsett trägt, würde wohl nie auf die Idee kommen, ein Hemd darunter zu ziehen. Damals schickte sich das so. Und schützte das Korsett vor Schweiß. Bei der Beinhose traut sie sich was: knielanges Weinrot! Weiß ist Standard. Anstandsrock. Korsetthemdchen. Schicht für Schicht helfen zwei Zofen ihr in die Kleider. Kann frau sich all das auch allein anziehen?, fragt die Neugier. Könnte sie! Alles eine Frage des Standes. Und der Übung.

Mit dem nächsten Handgriff schwingt die Krinoline auf den Hüften. Der Reifrock aus Federstahl lädt weit aus. Das ersetzt acht Unterröcke – hat aber auch sein Gewicht: drei Kilo. Drüber geht’s mit dem Überrock. Damit man der feinen Dame die Stahlstreifen nicht ansieht. Dann ist der gerüschte Unterrock dran. Sein Umfang: im Schnitt drei Meter. Das betont die Glockenform der Silhouette am Ende noch ein bisschen mehr. Zwei Handgriffe später sitzen auch die Anstandsärmel fest. Zeit für die letzte Schicht Stoff. Rot, Beige, Gold. Hochgeschlossen.

Jetzt noch Gürtel. Hut. Weiße Handschuhe – jeder soll sehen, dass sie nicht arbeiten muss. Zum Schluss geht noch der Sonnenschirm auf. Zu einer vornehmen Dame gehört vornehme Blässe. Braun wird nur, wer arbeiten muss. Anja Klütz dreht sich nach links. Nach rechts.

Die Neugier bewundert und staunt. Und fragt, wie viel sie jetzt mehr wiegt. Sieben Kilo. Genäht hat Anja Klütz ihr Kleid – wie die meisten Frauen im Schlossverein – selbst. Drei Monate lang. „Fragen Sie nicht, wie viel Zeit noch für die Knöpfe und Knopflöcher hinzukam.“ Da freut sich eine Reinigung aber über beständige Aufträge, oder? Anja Klütz schüttelt den Kopf. Das habe sie bei der Stoffwahl und beim Nähen alles schon mit bedacht. Und so kommt das Kleid nach dem Schlossfest einfach zu Hause in die Waschmaschine.

Über einem Paravent hängen Kleidungsstücke.
Strümpfe. Hemden. Unterröcke. Die Zofen haben alles bereitgelegt.
Eine Frau in historischer Kleidung zieht einer anderen Frau das Korsett fest.
Das Korsett brachte die weibliche Figur in Sanduhrform. Es war im 19. Jahrhundert so normal wie heute ein BH.
Eine Frau in historischer Kleidung hält eine Beinhose in der Hand.
Ein Muss unterm Rock: die Beinhose.
Eine Frau in historischer Kleidung hilft einer anderen Frau in den Reifrock.
Allein die Krinoline, also der Reifrock, wiegt drei Kilo. Zwischen ihr und der Beinhose hängt der Anstandsrock.
Zwei Frauen in historischer Kleidung legen einer anderen Frau links und rechts Kleiderärmel an.
Zwei Arme, zwei Zofen - dann sind auch die Anstandsärmel dran. Sie verhinderten allzu tiefe Einblicke unter den Kleiderärmel.
Eine Frau in historischer Kleidung formt einer anderen Frau das historische Kleid zurecht.
Jetzt noch das Kleid in Form zupfen. Dann ist es geschafft. Vom Korsett bis zum Sonnenschirm sind 20 Minuten vergangen.