
Ein Blick ins Gedächtnis des Landes



Manche sind klein wie eine Erbse. Andere in edles Leder gebunden. Oder aus einer Zeit, in der an Buchdruck noch lange nicht zu denken war. Die Landesbibliothek MV ist eine wahre Schatzkammer! Wer sie besucht, kann tief in die Geschichte des Landes tauchen. Sich durch unzählige Fachgebiete der Gegenwart blättern. Und weit mehr als nur „historische Schinken“ entdecken.
Das Reich der Bücher liegt dort, wo es normalerweise keine Besucherin und kein Besucher sieht. Gritt Brosowski geht vorweg. Vorbei an der Ausleihtheke, den Schreibtischen der Kolleginnen und Kollegen. Eine schwere Tür fällt ins Schloss. Dann steht die Bibliothekarin und Regionalreferentin mitten im Gedächtnis des Landes: dem Magazin.
Links und rechts Metallkolosse bis unter die Decke. Gritt Brosowski dreht an einem der Regalgriffe. Fast lautlos bewegen sich zwei Reihen auseinander. Geben den Blick frei auf alte Bücher mit goldumrandeten Deckeln und Leichenpredigten. Es hätten auch Kantaten sein können. Spätmittelalterliche Handschriften. Zeitungen. Landkarten. Oder Theaterzettel längst vergangener Spielzeiten. All das und noch viel mehr lagert hier. Alles in allem um die 800.000 Medien aus neun Jahrhunderten.
Was den Weg in die Bibliothek findet? Alles, was in Mecklenburg-Vorpommern verlegt wird. Zeitungen und Zeitschriften, zum Beispiel. Bücher. Kalender. Noten. CDs. DVDs. Kirchenbriefe. Auch der Katalog vom Filmkunstfest. Der Landesbibliothek jeweils ein Exemplar dieser Medien zu überlassen, ist Pflicht. Für Verlage. Ab einer Auflage von 25 auch für Privatpersonen. Als Regionalbibliothek sammelt sie außerdem Literatur über MV. Und dann ist da noch die wissenschaftliche Ausrichtung mit Fachbüchern und Zeitschriften ohne regionalen Bezug, aber zu jedem Wissenschaftsgebiet der Welt.
Und was ist das kurioseste Exemplar im Bestand? Für die einen aus dem Bibliotheksteam ist es ein erbsengroßes Buch, für andere eines aus Palmblättern. Oder das eines italienischen Architekten, mit einem Griff am Buchrücken.
Wer in der Landesbibliothek angemeldet ist, kann zwar nicht immer alles für den Zuhause-Gebrauch ausleihen, vor Ort aber nahezu im gesamten Bestand stöbern. Einer der größten Schätze des Hauses bleibt Nutzerinnen und Nutzern aber auch hier verborgen: das Fragment des Rolandsliedes. Die mittelhochdeutsche Adaption des altfranzösischen „Chanson de Roland“ durch den Pfaffen Konrad stammt aus dem 12. Jahrhundert und ist das älteste Exemplar in der Bibliothek. Die auf Pergament geschriebenen Teile des Versepos liegen gut geschützt im Safe. Damit sie auch weiterhin nicht mit der Zeit im Gedächtnis des Landes verblassen.

Die Landesbibliothek besitzt heute noch rund 4.000 Bücher aus der Sammlung von Friedrich zu Mecklenburg-Schwerin. Vielen von ihnen hat der Lauf der Zeit stark zugesetzt. Wie die Bibliothek sie vor dem weiteren Verfall bewahrt und damit auch für kommende Generationen sichert? Das Video gibt einen Einblick.
Mit 16.000 Titeln fing alles an
Die Landesbibliothek ist schon mehr als 240 Jahre alt: 1779 gründete Friedrich der Fromme in Schwerin die herzogliche Regierungsbibliothek. Ihre Aufgabe: die herzogliche Landesregierung bei ihren Aufgaben zu unterstützen und mecklenburgisches Schrifttum zu sammeln.
Den Grundstock bildete die Büchersammlung des Barons von Ditmar: verwaltungs- und rechtskundliche Literatur in 16.000 Bänden. 1855 wird der Archäologe und Historiker Friedrich Lisch Regierungsbibliothekar. Ein Glücksfall für die Einrichtung, denn: Er beginnt, den Bestand gezielt zu ordnen und inhaltlich zu erschließen. Ein zweiter wichtiger Name in der Bibliotheksgeschichte ist Carl Schröder. Er wird 1885 Bibliotheksdirektor, kauft zielgerichtet wissenschaftliche Literatur an und katalogisiert sie sachgerecht.
1924 wird die Bibliothek in „Mecklenburgische Landesbibliothek“ umbenannt und der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ihre ursprüngliche, regierungsunterstützende Aufgabe erfüllt sie aber auch heute noch, z.B. über zwei Außenstandorte im Innen- und Justizministerium. Mehr zur Geschichte der Landesbibliothek...
Kleine Unterschiede
Was unterscheidet die Landesbibliothek von einer Stadtbibliothek? Die Unterschiede zeigen sich vor allem in der inhaltlichen Ausrichtung des Bestands. „Neben der landeskundlichen Literatur bieten wir ein breites Spektrum an aktuellen fachwissenschaftlichen Publikationen“, sagt Katharina Weil.
„In unserem belletristischen Bestand kann man viele Buchperlen abseits von Bestsellerlisten und Mainstream-Pfaden entdecken. Wir haben zum Beispiel viele Lyrikbände.“ Computerspiele, DVDs oder Kinderbücher gelangen in den Bestand, wenn sie in MV verlegt wurden oder einen regionalen Bezug haben.
Ein weiterer Unterschied ist die Trägerschaft: „Im Gegensatz zu einer Stadtbibliothek als freiwilliger kommunaler Leistung sind wir eine Landeseinrichtung.“ Und: Die Landesbibliothek kann gänzlich kostenlos genutzt werden, ist aber nicht Teil der Onleihe.
Ein Buch als „Patenkind“
Die Landesbibliothek – das sind heute rund 805.000 Medieneinheiten. Etwa 136.000 von ihnen stammen aus der Zeit zwischen 1501 und 1850. An einigen von ihnen hat der Zahn der Zeit deutliche Spuren hinterlassen. Schäden, die nur durch eine Restaurierung behoben oder aufgehalten werden können. Wer möchte, kann die Bibliothek als Buchpate oder Buchpatin dabei unterstützen und wird im Gegenzug als Pate oder Patin des Titels vermerkt. Mehr Infos – hier...
Veranstaltungstipp
Die Landesbibliothek gibt auch Ausstellungen und Lesungen einen Raum. Aktuell treten Günther Uecker und Gestalter Rolf Schroeter „in contact“ miteinander. Ein Besuch der Ausstellung ist bis zum 16. Juni 2023 während der Öffnungszeiten der Bibliothek möglich. Und am 30. März liest Autor und Historiker Michael Herms ab 19 Uhr aus seinem Roman „Anna's Kriegsanleihe. Eine Spurensuche in Mecklenburg“.