Baselitz in Prerow – wie alles begann
„Baselitz in Prerow. Ja, das ist wie so oft, ein Geschenk des Himmels…” Susan Knoll vom Förderverein Seemannskirche Prerow über den berühmten Maler, ein besonderes Bild – und eine außergewöhnliche Geschichte zur 300-Jahr-Feier.
Der Maler Georg Baselitz wird seit Jahren im Ranking „Kunstkompass“ mit Gerhard Richter und Bruce Nauman als einer der drei weltweit (!) wichtigsten Künstler geführt. Was wenige wissen: sein eigentlicher Name ist Hans-Georg Kern und er stammt aus Deutschbaselitz, obersorbisch Nemske Pazlicy, in der Oberlausitz (Sachsen). Kern verbrachte offenbar als Kind und Jugendlicher regelmäßig die Sommerferien mit der Familie auf dem Zeltplatz in Prerow.
Darauf stieß der Förderverein bei Recherchen in Vorbereitung auf die 300-Jahr-Feierlichkeiten der Seemannskirche Prerow (1726-1728 erbaut). In Gesprächen mit einer inzwischen verstorbenen Prerower Einwohnerin, die früher auf dem Zeltplatz tätig war, erhielten wir die Information, dass die Familie Kern auf dem Zeltplatz regelmäßig ihre Ferien verbracht hatte. Vater Johannes Kern, lebensbeeinträchtigend kriegsverwundet, genoss diese Auszeit sehr und organisierte sie regelmäßig. Für die Familie Kern bedeuteten diese Urlaube Glückseligkeit.
Wir wussten zudem, dass Georg Baselitz 1996 in einer Phase, in der er künstlerisch Themen der (familiären) Vergangenheit bearbeitete, ein 3 x 4 m großes Gemälde mit dem Titel „Mein Vater sieht einen Engel“ gemalt hat. Es ist angelehnt an ein Foto, welches seinen Vater gen Himmel blickend am Strand von Prerow zeigt. Ein Bild voller Frieden und Harmonie. Eben das, was die Kerns hier in Prerow suchten und fanden und was sie nur schwerlich in ihr Leben zuhause mitnehmen konnten.
Wir haben uns dann einfach getraut und nahmen Kontakt mit Georg Baselitz auf, der schon einen Tag nach Erhalt unserer Anfrage per Mail antwortete:
„Ich habe sehr glückliche Erinnerungen an die Zeit. Im Ort gab es damals eine Eisdiele, man bekam dort Eis mit alkoholischen Essenzen und es gab keine gepflasterten Straßen, wunderbar. Ich war auch in der Kirche; es gab damals einen Beschließer, den man nicht verstand, aber ich fand das Ganze – weil es so unsächsisch und heidnisch war - sehr schön!“
Und er gab uns sofort die Zusage, das Gemälde „Mein Vater sieht einen Engel“ in unserer Kirche ausstellen zu dürfen. So nahm alles seinen Anfang.
Warum passt das Bild in die Seemannskirche?
Kann es mehr Bezüge geben als den wunderbaren Strand von Prerow, einen Engel, der dem Vater erschien und Kindheitsbesuche dieses Weltkünstlers in unserer Kirche? Um so mehr, als ein in seinem Originalzustand erhaltener, aber zerbröselter Engel, der auf demTaufaltar thronte, lange verschwunden, dann vom Förderverein wieder entdeckt, aufwändig saniert und so zum Symbol des Fördervereins wurde.
Wie laufen die Vorbereitungen?
Auf dem Kunstmarkt unerfahren türmten sich gleich viele Fragen vor uns auf. Wie bekommen wir ein so großes Bild überhaupt in die Kirche?
Durch Fenster oder die Türen geht es nicht. Wie bekommen wir es aus dem Münchner Depot nach Prerow? Wie bewachen wir das Bild? Wie müssen wir das Gemälde versichern? Wo stellen wir das Bild auf, wie hängen wir es auf? Und: Was kostet uns das alles? Kann man Eintritt für ein einziges Bild nehmen?
Schnell wurde klar: Für alles benötigen wir Spezialisten – Restaurator, Wachfirma, Versicherung, Transportunternehmen. Und Spezialisten kosten. Das Bild also für zwei, drei Wochen in der Urlaubszeit präsentieren – ein Wunschtraum. Allein die Bewachungskosten wären für einen kleinen ehrenamtlich tätigen Verein nicht zu stemmen.
So entstand die Idee der Verknappung – das Gemälde kurz, aber heftig auszustellen. Drei Tage rund um die Uhr – 72 Stunden. Von Freitag, dem 22. Mai 2026, bis Pfingstmontag, dem 25. Mai, 17 Uhr. Nonstop. Rund um die Uhr. Wann immer man möchte – ob morgens um 7 oder nachts um 2. Weniger Bewachungskosten, geringere Versicherungsquote – dafür ein Event mit dem besonderen Etwas… Baselitz nicht nur von 9 bis 17 Uhr, sondern auch nachts um 3 Uhr genießen – das ist doch was. Die kurze Umfrage unter Mitgliedern erbrachte ungeheure Begeisterung, schnell waren viele bereit, auch nachts Wein und morgens um 6 Kaffee auszuschenken, die Garderobe entgegenzunehmen… und und und.
Ja, und damit war es:
Beschlossen. Der Rest ist Organisation, viel, viel Organisation: Zeitpunkt festlegen, Kostenvoranschläge einholen, Verträge vorverhandeln, Pressearbeit regional, national und international. Ein Weltkünstler in einer Dorfkirche – wenn das keine Geschichte ist!
Bleibt noch die Frage der Kosten - wie wollen wir das finanzieren?
Schnell waren wir uns einig, dass wir keinen Eintritt für ein Bild, und sei es noch so bedeutend und groß, erheben werden. Auch müssen ja Gottesdienste zu Pfingsten wie gewohnt stattfinden können, da darf es doch keinen Eintritt geben.
Wir setzen also auf die Generosität der Besucher, die – so hoffen wir – unsere Anstrengungen honorieren, die hohe Kunst eines Weltkünstlers quasi „live und in Farbe“ in unsere kleine, wunderschöne Seemannskirche zu bringen. Wir wollen also zum einen auf Spenden der Besucher setzen. Zum anderen auf mit unserem gastronomischen Angebot erwirtschaftete Mittel und auf ein Merchandising-Angebot. Die Sparkasse Vorpommern war von unserer Idee ebenso angetan wie das Kulturministerium in Schwerin, die ob der Strahlkraft des Events finanzielle Unterstützungen zusagten. Das schafft schon eine gewisse Erleichterung, weil ein Teil der immensen Kosten, die wir tragen werden, abgesichert ist.
Und schließlich gibt es ja den Pfingstsonntag… An diesem Tag findet seit vier Jahren unser Konzert „Cello-Zauber” statt. Uwe Kroggel, Solocellist der Sächsischen Staatskapelle Dresden a. D., spielt zusammen mit seinen Gästen in der Kirche. In diesem Jahr begeisterte er zusammen mit Johannes Mirow, Solocellist der Deutschen Oper Berlin, und dessen Sohn Sebastian, Solocellist der Hamburger Symphoniker. Angesichts der Möglichkeit, in 2026 vor dem Baselitz-Gemälde zu spielen, sagten alle drei sofort ihr Kommen zu. Da es sich dabei um ein Benefizkonzert handelt, dürfen wir auch hier mit Einnahmen rechnen. Wenn wir unter dem Strich mit einer schwarzen Null aus dem Event herauskommen, dann sind wir sehr zufrieden. Denn entscheidend ist, dass wir ein Bild quasi zu seinem Nachhause, seinem Ursprungsort, gebracht haben, Weltkunst in unsere ländliche Region gebracht haben, zudem die Region in den Fokus gerückt und viel für das Image des Darß, unserer wunderschönen kleinen Kirche und unseres Vereins getan haben.
Wann genau findet das Event statt?
Die Präsentation des Gemäldes wird zu Pfingsten 2026 vom 22. Mai, 17 Uhr, bis 25. Mai, 17 Uhr, stattfinden. Sie bildet zugleich den Auftakt der über drei Jahre gehenden Feierlichkeiten zum 300. Jubiläum der Seemannskirche Prerow.
Was ist das Besondere an der Seemannskirche Prerow?
Die Seemannskirche wurde in der sogenannten Schwedenzeit, also der Zeit, in der der Darß unter schwedischer Herrschaft stand, von 1726-1728 in Ständerbauweise als Nachfolge-Gotteshaus für ein an einer etwas anderen Stelle stehenden Gotteshauses erreichtet. Man hatte für den Bau den damals höchsten Punkt des Ortes ausgesucht, weil die Kirche für die Seefahrt einen weithin sichtbaren und damit lebenswichtigen Orientierungspunkt bildete. Kein Bauwerk in der Umgebung durfte höher sein, damit die Seeleute mit dem Anpeilen des Kirchturm wussten, wo der im Fall von Stürmen und Seenot rettende Hafen zu finden war.
Der Kirchturm war 1727 in seiner jetzigen Form mit einem Wetterhahn an der Spitze fertig. Die erste Taufe fand im September 1728 statt. In den folgenden Jahren wurde die Kirche mehrfach umgebaut, dann wie heute sichtbar in Backstein.
Neben dem Altar und dem Taufaltar im prunkvollen Barockstil und mit wunderbaren Galionsfiguren verziert, besticht die Kirche durch ihre Schlichtheit. Ihren Charakter prägen zudem die ausgestellten und im Kirchenraum schwebenden Schiffsmodelle, die wie auch der Kristall-Leuchter als Dank von Seeleuten gestiftet wurden, die sich so für ihre Rettung in den Haffen von Prerow aus Seenot bedankten.
Welche Ziele hat der Förderverein?
Der überkonfessionelle Verein wurde 1995 gegründet, weil der Kirchturm einzustürzen drohte und dringender Handlungsbedarf angesagt war. Und damit war auch das Ziel formuliert: Die Sanierung und den Erhalt dieses bedeutenden Kulturdenkmals zu fördern. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel werden über Mitgliedsbeiträge (Mindestbeitrag pro Jahr 25 Euro), Spenden und mit der Durchführung kultureller Veranstaltungen mit Strahlkraft beschafft.
Ich selbst habe 2006 in der Kirche geheiratet und wurde vom vormaligen Pfarrer Reinhard Witte 2013 angesprochen, ob ich den Vorsitz seines Fördervereins übernehmen wolle. Ein Jahr später wurde ich gewählt. Der Verein hatte damals 37 Mitglieder – inzwischen freue ich mich über (momentan) 425 Vereinsmitglieder.
Wir haben Veranstaltungen kreiert, die im Kalender des Ortes und vieler Gäste fest verankert sind. Und mit denen wir die Gelder erzielen, die wir zur Sanierung der Kirche brauchen. Veranstaltungen wie der Wintermarkt (immer am 30.12.), das Weihnachtssingen (am 22.12.) mit Kreuzchor-Sängern, der Cello-Zauber und natürlich das Benefizkonzert von Dirk Michaelis (stets um den Tag der Deutschen Einheit) wurden erdacht und durchgeführt. Und seit 2022 organisieren wir das damals schon auf eine 25-jährige Tradition zurückblickende Lucia-Fest.
Mit all diesen Veranstaltungen und dem wirklich außergewöhnlichen Engagement unserer Mitglieder sind wir auch bei diversen Wettbewerben in den Fokus gerückt. 2022 belegten wir Platz zwei bei der Suche nach dem „Verein des Jahres in Mecklenburg-Vorpommern“. Und ein Jahr später belegten wir Platz 1 bei dem von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung veranstalteten Wettbewerb „Leuchtturm des Tourismus“ – dabei waren wir einziger ehrenamtlicher Starter unter 90 Teilnehmern. Die größte Ehre für den Verein folgte 2024: Da erhielt ich für das Engagement für die Seemannskirche vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz verliehen, das mir im Januar Ministerpräsidentin Manuela Schwesig im Schweriner Schloss überreichte.
Apropos Dirk Michaelis, woher rührt seine Bindung an die Kirche?
Mein Mann und ich sind mit Dirk Michaelis seit langen Jahren eng befreundet. Er war deshalb auch auf unsere Hochzeit eingeladen und damit auch in der Seemannskirche. Und natürlich kam er für unsere Hochzeit als Freund und Musiker um einen Auftritt nicht herum…
Als wir ihn 2014 baten, am 3.10., dem Tag der Einheit, bei uns in der Kirche zum Benefiz für die Seemannskirche zu singen, sagte er sofort zu. Der Erfolg war überwältigend, die Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. Und da passen 350 Menschen hinein… Als er die ostdeutsche Wendehymne „Als ich fortging“ sang, gab es kein Halten mehr. Dirk rief in die Runde: „Soll ich wiederkommen?“ Die Antwort kennen wir alle. Seither ist er mit einer Unterbrechung während der Corona-Pandemie jedes Mal Garant für ein volles Haus und Freude bei unserem Schatzmeister. Für ihn ist die Seemannskirche längst „mein Wohnzimmer“ und sein Lieblingskonzertsaal. Er hat auch angeregt, auch das Obergeschoss der Kirche mit beheizbaren Sitzkissen auszustatten, um nicht länger das Erdgeschoss zu privilegieren. Und mit seinen Konzerterlösen konnten wir das inzwischen stemmen. Das Gemäuer unserer Seemannskirche verträgt nämlich keine dauerhafte Heizung, weshalb wir der Kirche für die kältere Jahreszeit beheizbare Sitzkissen spendiert haben – mit Dirks Sangeskunst finanziert..
Sein nächster Auftritt ist übrigens am 4.10 und schon jetzt sind 150 Eintrittskarten bestellt – die ersten Bestellungen erreichten uns bereits während seines Konzertes im vergangenen Jahr.
Welche Veranstaltungen und Vorhaben stehen jetzt im Fokus?
Wir wollen die bisherigen natürlich in bleibender Qualität weiter durchführen und möglichst immer etwas verbessern. Um so mehr, als sie in die Feierlichkeiten zum 300. Jubiläum der Seemannskirche eingebunden sind. Damit beschäftigt sich seit geraumer Zeit ein kleiner Vorbereitungskreis, der viele Aktivitäten erdenkt, bündelt und dann zur Diskussion stellt. So planen wir, in diesem Jubiläumszeitraum an die Zeit der Prerower Seefahrt zu erinnern und in Kooperation mit der Hanse Sail einen Großsegler an der neuen Seebrücke festmachen zu lassen und neben Besichtigungen auch einen Seemanns-Gottesdienst durchzuführen. Wir bemühen uns des Weiteren um royalen Besuch aus Schweden zu den Geburtstags-Feierlichkeiten und und und. Ideen haben wir viele.
Am wichtigsten ist für uns aber unser 2024 gestartetes Großprojekt. Um die Kirche standen bis dahin 32 historische Kapitänsgrabsteine, die größte derartige Sammlung im deutschen Ostseeraum. Sie drohten aufgrund der Witterungseinflüsse von Sonne, Regen und Wind zu zerfallen – Mittel zur Rettung waren nicht in Sicht. Ein Kulturgut drohte ein für allemal zu verschwinden. Das darf nicht sein, sagten wir und riefen die Spendenaktion „Rettet die historischen Grabsteine“ ins Leben. Ein kühnes Unterfangen, das laut Experten-Gutachten einen sechsstelligen Finanzbedarf erfordert.
Heute können wir nicht ohne Stolz sagen: wir sind auf einem guten Weg. Einheimische und viele Feriengäste spendeten größere und kleinere Summen, 26 Einzelpersonen und Stiftungen übernahmen die Patenschaft für einen oder mehrere Steine – die ersten sanierten Grabsteine wurden gerade zum diesjährigen Seemannskirchenfest wieder aufgestellt – schön wie nie! Und alle anderen Kapitäns-Grabsteine sind ebenfalls bereits in der Schönheitskur. Bis zum September des kommenden Jahres soll nun noch für die Hälfte der Steine, die am gefährdetsten sind, ein schützender Unterstand, ein sogenanntes Lapidarium, gebaut werden. Der Bauantrag dafür ist gestellt. Mitglieder stehen als Bauhelfer in den Startlöchern. Auch dafür müssen wir noch sammeln, müssen viele Bratwürste, Waffeln und unseren Seemannskirchenwein für den guten Zweck verkaufen. Doch wenn uns die Bürokratie keinen Strich durch die Rechnung macht, dann schaffen wir auch das: Ein neues Schmuckstück, eine neue Tourismusattraktion an der Seemannskirche in Prerow, unserer Schönheit aus der Schwedenzeit.
Kontakt
Susan Knoll
1. Vorsitzende
Förderverein Seemannskirche Prerow
Kirchenort 2
18375 Ostseebad Prerow