Die Titelseite des Programmhefts.
Vier Seiten statt dickem Spielzeitkatalog: Das Mecklenburgische Staatstheater startet im August in die neue Theatersaison. Das Programm reicht erst einmal nur bis Dezember.
10.07.2020

Kleiner Spielplan, große Hoffnung

Lars Tietje sitzt neben dem Titanic-Plakat für die nächsten Schlossfestspiele und spricht.
Generalintendant Lars Tietje: "In dieser sehr ungewöhnlichen Zeit freue ich mich, einen Spielplan vorzustellen, der in vielerlei Hinsicht ebenso ungewöhnlich ist."
Ein Porträt vonMark Rohde. Hinter ihm, auf einem Aufsteller, steht: "Immer live für alle."
Das erste Sinfoniekonzert dirigiert der neue Generalmusikdirektor Mark Rohde selbst.

Hätte ihm Anfang des Jahres jemand gesagt, er kann seine nächste Spielzeit nur von August bis Dezember planen – Lars Tietje hätte wohl amüsiert bis ungläubig den Kopf geschüttelt. Nun, Anfang Juli, sitzt der Intendant des Mecklenburgischen Staatstheaters im Konzertfoyer seines großen Hauses und blickt auf die nächste Spielzeit. Für August bis Dezember.

Ballettissimo! Schöne Worte, die Bilder im Kopf inszenieren. Von großen Opern und Primaballerinen. Premieren und Uraufführungen. Wenn Intendanten und Spartendirektoren die Highlights ihrer neuen Spielzeit zum ersten Mal öffentlich beim Namen nennen, sprudeln sie normalerweise nur so aus ihnen heraus, die Superlative. Und die Euphorie. Doch was ist schon normal, seit Corona die Weltbühne betreten hat und strenge Regeln an Hygiene und Sicherheit die Regie übernehmen? Das Prinzip Hoffnung, vielleicht. So deutet Intendant Tietje es jedenfalls an. Ganz ohne Euphorie und Superlative.

Ein Neustart, viele Regelungen

Er sei in den vergangenen Wochen oft gefragt und nicht selten auch kritisiert worden, warum er die alte Spielzeit nicht wenigstens mit ein paar Vorstellungen habe ausklingen lassen. Weil es nicht nur darum gehe, Besucher zu schützen, sondern auch Mitarbeiter. Und darum, die strengen Auflagen der Unfallkasse zu erfüllen, sagt er. Die Vorschriften und Regelungen für beide Seiten zusammenzuführen – ein Spagat, den Lars Tietje und seine Spartendirektoren nun ab August meistern wollen.

Maximal 190 Zuschauer

Auf der Besucherseite sind die Anforderungen schnell umrissen: Die Plätze im Großen Haus werden pro Vorstellung auf maximal 190 Personen beschränkt. Dabei wird es höchstens zwei, vereinzelt drei zusammenhängende Plätze geben. Je nachdem, wo die Zuschauer sitzen, werden sie schon beim Einlass über den Haupteingang oder die Seitentüren zu ihren Plätzen gelenkt. Bis zum Platz gilt Maskenpflicht. Die Gastronomie bleibt vorerst zu.

Ein Bläser, sechs Meter

Dann wendet sich der Intendant der anderen Seite zu. Den Tänzern, denen beim Training pro Person 36 Quadratmeter Platz zustehen muss und die deshalb höchstens zu viert trainieren können. Den Sängern, die je nach Gesangsanteil mehr oder weniger Abstand zu Kollegen und Publikum halten müssen. Den Bläsern, die mindestens sechs Meter Abstand zu anderen brauchen, oder Plexiglas um sich herum. Den Beleuchtern und Bühnentechnikern, die normalerweise Hand in Hand arbeiten, sich jetzt aber auf der Bühne nicht begegnen dürfen. Der Auf- und Abbau von Bühnenbildern – auch er darf sich nicht mehr überlappen. Deshalb werden die Bühnenbilder zeitsparend verkleinert. Nicht zu vergessen die Abstandsregeln, die auch für die Darsteller auf der Bühne gelten und zu kleineren Besetzungen führen. Glück fürs Ballett: Im Ensemble gibt es echte Paare. Damit steht den Pas de deux, den Tänzen zu zweit, hier nichts im Weg.

Jetzt heißt es: Spielen, spielen, spielen!

Die Regeln sind komplex. Nach Wochen der Zwangspause aber auch ein Anfang. Lars Tietje zeigt sich optimistisch, alle Auflagen zu erfüllen. „Wir stehen in enger Abstimmung mit dem Schweriner Ordnungsamt.“

Als die Landesregierung die Spielzeit 2019/2020 im April für beendet erklärte, war die Saison 2020/2021 schon fertig durchgeplant. Jetzt gilt bis Jahresende ein Sonderspielplan. 22 Stücke verteilt auf alle Sparten. Im Großen Haus, im Konzertfoyer in Schwerin und der Stadthalle in Parchim. Ein „Werkraum“ soll das gesperrte E-Werk ersetzen. Mit einer ungewöhnlichen Perspektive für die Zuschauer: Sie sitzen auf der Großen Bühne unter dem Schnürboden, die Schauspieler nutzen das Bühnenportal und die Vorbühne.

Jetzt heißt es: Spielen, spielen, spielen! An so vielen Tagen wie möglich. Die Sinfoniekonzerte, zum Beispiel, spielen die Musiker gleich zweimal hintereinander. Dazwischen werden die Räume eine Stunde lang gelüftet, so der neue Generalmusikdirektor Mark Rohde.

Alle Abonnenten sollen auch wieder ihr gewohntes Anrecht haben. Möglicherweise nicht immer auf ihrem favorisierten Platz, aber mit allen Veranstaltungen, die ihr Abo auch ohne Corona bis Jahresende enthalten würde. Sie erhalten dazu noch Post vom Theater.

2021 wird nach dem Sommer geplant

Auf zwei Millionen Euro beziffert Lars Tietje den Verlust, den das Theater gemessen an Eintrittskarten zu verkraften habe. Diese Summe werde so natürlich in keiner Bilanz stehen, schließlich habe das Haus an anderer Stelle Kosten gespart. „Diese gesparten Kosten treffen am Ende jedoch viele Dritte“, sagte er. Freie Künstler, zum Beispiel. Oder Gewerke aus der Veranstaltungsbranche.

Den neuen Spielplan auf wenige Monate zu beschränken, schreibt nicht nur Theatergeschichte. „Es trägt gleichzeitig eine wichtige Botschaft: Im Mecklenburgischen Staatstheater wird ab August wieder live und vor Publikum gespielt.“ Das sei ein gutes Signal. Fürs Publikum. Und die Kulturschaffenden. Wie es nach Dezember weitergeht? Das entscheide sich nach dem Sommer, so Tietje. Seine Hoffnung: „Dass wir ab Januar wieder weitgehend normal arbeiten können.“

Bis dahin bleibt so manches ungewöhnlich. Auch der Spielstart am 20. August – im Freilichtmuseum Mueß. Mit einer Premiere, die es auf den Punkt bringt: „Geiht wedder los.“