10.01.2020

2215 Briefe und Postkarten von Ernst Barlach

Zwei Frauen und drei Männer stehen nebeneinander vor einem Tisch. Bettina Martin und Prof. Dr. Holger Helbig halten gemeinsam die Briefbände in der Hand. Auf dem Tisch liegen weitere Exemplare.
Magdalena Schulz-Ohm (Ernst Barlach Stiftung in Güstrow), Projektleiter Prof. Dr. Holger Helbig, Kulturministerin Bettina Martin, Dr. Karsten Müller (Ernst Barlach Haus in Hamburg), Dr. Carolin Vogel (Reemtsma Stiftung) (v.l.)
Die vier Briefbände liegen nebeneinander auf einem Tisch.
Briefe aus 90 Archiven, Museen, privaten Nachlässen und Sammlungen: Das vierbändige Werk ist pünktlich zum 150. Geburtstag des Bildhauers, Dramatikers, Zeichners im Suhrkamp Verlag erschienen.

Sie sehen: Vier Bände, 2986 Seiten. Die Edition mit den Briefen und Postkarten Ernst Barlachs. Stoff für die Wissenschaft. Stoff aber auch für eine Lesereise. Charly Hübner ist gerade unterwegs damit. 

Gemeinsam mit Schriftsteller Ingo Schulze und dem Literaturwissenschaftler Professor Dr. Holger Helbig liest der Schauspieler aus dem Werk, das pünktlich zum 150. Geburtstag des Bildhauers, Dramatikers, Zeichners (1870-1938) im Suhrkamp Verlag erschienen ist. 2215 Briefe und Karten - in den gesammelten Schriftstücken beschreibt Barlach sein Leben. Die Suche nach Sinn, den Weg zur Kunst bis hin zur Meisterschaft, er schreibt über Verzweiflung, politische Verfolgung und Vereinsamung. „Mit der vierbändigen Neuausgabe wird eines der derzeit größten und bedeutendsten geisteswissenschaftlichen Forschungsprojekte in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich abgeschlossen”, sagte Kulturministerin Bettina Martin am Mittwoch bei der Vorstellung der Edition.  Für die Arbeit wurden Briefe aus 90 Archiven, Museen, privaten Nachlässen und Sammlungen im In- und Ausland zusammengetragen, sagte Prof. Helbig, der zugleich Projektleiter an der Universität Rostock war. Von den Schriftstücken seien 395 erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Jeder der handschriftlichen Briefe wurde neu entziffert, so Helbig. Ein junges Wissenschaftlerteam habe einordnende Kommentare verfasst, 14 Mitarbeiter seien in den vergangenen vier Jahren beteiligt gewesen. Barlach zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Moderne. Er lebte und arbeitete von 1910 bis zu seinem Tod 1938 in Güstrow. Über sein Werk „Der tote Tag” sagte Thomas Mann, es sei das „Stärkste und Eigentümlichste (…), was das jüngste Drama in Deutschland hervorgebracht hat.” Über seine Plastiken hielt Bertolt Brecht fest: „Sie haben viel Wesentliches und nichts Überflüssiges.” Als Neil MacGregor 2014 für seine Londoner Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen einer Nation” nach einem Exponat suchte, entschied er sich für Barlachs „Schwebenden” aus dem Güstrower Dom. Die bis dahin letzte Ausgabe mit Barlachs Briefen stammte aus den 1960er Jahren von Friedrich Droß. Seither seien mehr als 600 weitere Schriftstücke ausfindig gemacht worden, so Helbig. Das Bild von Barlach werde durch die neuen Briefe genauer und vollständiger. Vor fünf Jahren hatte die Güstrower Ernst Barlach Stiftung das Projekt angeregt, das seit 2016 gemeinsam mit dem Ernst Barlach Haus in Hamburg und der Universität Rostock umgesetzt wurde.   Mit einer Förderung der Hermann Reemtsma Stiftung, die 440.000 Euro bereitstellte, sowie Mitteln des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Höhe von 380.000 Euro konnte das Forschungs- und Editionsprojekt realisiert werden. Auch die Universität Rostock beteiligte sich mit 90.000 Euro an der Arbeitsstelle, die über vier Jahre an ihrem Institut für Germanistik für das Projekt Barlach 2020 eingerichtet worden war. „Die neue Ausgabe genügt wissenschaftlichen Ansprüchen und ist dabei zugleich leserfreundlich und sogar unterhaltsam”, sagte Dr. Karsten Müller, Leiter des Ernst Barlach Hauses in Hamburg.  Das findet auch Charly Hübner. Ebenso wie Ingo Schulze und Holger Helbig. Auf ihrer Tour lesen sie aus Briefen wie diesen (geschrieben am 6. Januar 1935 an Fritz Schumacher aus Güstrow):  Sehr verehrter Herr Professor,Ihre Hand, wozu ich extra u. von Herzen gratuliere, ist fest und sicher wie sonst, meine ist wohl ein bißchen zitteriger als sonst – aber ein fahriger Mensch war ich ja immer und ein wenig mehr oder weniger wird nicht viel ausmachen. Ich habe im Laufe dieser letzten Jahre, minder festeren Gemüts als Sie, zuviel Schlafmittel geschluckt und besinne mich darauf, daß es damit nicht so weiter gehen kann. Früher, als frischfröhliche Kumpane mit andern desgleichen sangen wir trotzig revolutionär: Blut muß fließen, knüppel-, knüppeldick usw. Jetzt denkt man etwa: mit dem fließenden Blut ist nichts zu beschaffen, es fließt, je ernster man das Heil sucht, nur immer mehr und endlich in Strömen, sorge jeder dafür, daß das Blut im eigenen Leibe, und vor allem im Kopfe, so sachte rinne, daß nichts Dummes dabei herauskommt. Ich habe in letzten Jahren unendlich viele furiose Briefe verfaßt und kann es einstweilen dabei bewenden lassen. Zwei Briefe von Barlach tauchten übrigens erst nach Abschluss der Arbeiten an der Edition auf dem antiquarischen Markt auf und konnten im neuen Werk nicht mehr aufgenommen werden. Das Ernst Barlach Haus Hamburg und die Ernst Barlach Stiftung Güstrow erwarben jedoch jeweils ein Schriftstück. „Sie sehen: Barlach-Forschung ist ein Projekt mit Zukunft”, so Prof. Helbig.  Die EditionErnst Barlach. Die Briefe. Kommentierte Neuausgabe in vier Bänden Herausgegeben von Holger Helbig, Karoline Lemke, Paul Onasch und Henri Seel, unter Mitarbeit von Volker Probst, Franziska Hell und Sarah Schossner. Suhrkamp Verlag, ISBN: 978-3-518-42877-1, 79 Euro (bis 31.1.2020), danach 98 Euro


Lesereise 30.1.2020 19 Uhr (ausverkauft)

Literaturhaus Rostock zu Gast in der Universität Rostock, Universitätsplatz 1, 18055 Rostock 31.1.2020 19 Uhr

Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin 26.3.2020 20 Uhr

Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, 80333 München 27.4.2020 20 Uhr

Literaturhaus Köln zu Gast in der Antoniterkirche, Schildergasse 57, 50667 Köln 6.6.2020 19 Uhr

Albertinum, Brühlsche Terrasse / Georg-Treu-Platz (barrierefrei), 01067 Dresden Über Ernst Barlach - hierDie Pressemitteilung des Kulturministeriums -

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