Joachim Helm faltet ein Stück Papier.
Wenn Joachim Helm die Muse küsst, faltet er Tiere, Blumen und Boote.
10.01.2019

Alter Falter!

Ein Pinguin, ein Weihnachtsmann und bunte Kraniche, gefaltet aus Papier.
Hier steckt die Liebe im Detail. Manche Kunstwerke sind nicht größer als ein Daumennagel.
Zwei rote Schuhe mit weißen Punkten. Sie hängen an Haken für Ohrringe.
Im Handumdrehen werden die kleinen Faltereien auch zu Ohrringen.

Der Maler Pablo Picasso sagte einmal: Man braucht sehr lange, um jung zu werden. Wer Joachim Helm bei seiner Arbeit zuschaut, wie er so versunken da sitzt, die kleinen bunten Papierblätter zwischen seinen nicht eben zarten Händen hin und her knifft, der ahnt, dass dieser Mann inzwischen wieder Kind sein kann, wann immer er will.

Und wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, entstehen im Handumdrehen Kraniche, Krabben, Segelboote, Stiefelchen und Weihnachtswichtel. Einige sind nur so groß wie ein Daumennagel. Aus ihnen zaubert der Schweriner Origami-Künstler Kettenanhänger oder Ohrringe.

Wie kann ein 61-Jähriger so etwas Filigranes schaffen? „Mittlerweile nur noch mit Lupe und Pinzette“, gibt Joachim Helms unumwunden zu. Und weil er nun einmal nicht mehr der Jüngste ist, hat er sich auch den Künstlernamen „Alter Falter“ zugelegt.

Den verdankt er übrigens ein paar Jungen von der Ostseeküste. Als die mal zufällig an seinem Origami-Stand vorbei kamen, blieben sie stehen, guckten, staunten und einer von ihnen sagte: Boa - Alter Falter!

Kinder waren es auch, die ihn in die Welt des Origami eintauchen ließen. Joachim Helms kratzt nachdenklich seinen weißen Stoppelbart: „Das war vor vielen Jahren, als ich mit meinem Nachwuchs begann, bunte Papierwerke zu basteln. Nach einem halben Jahr hatten die Lütten keine Lust mehr. Ich machte noch ein wenig allein weiter, verlor das Hobby aber leider im stressigen Alltag aus den Augen.“

Schmucke Stücke

Jahre später, als ihn eine Krankheit ordentlich zusammengefaltet hat, erinnert er sich daran, wie gut ihm Origami getan hat. Der gelernte Lithograph und Werbefachmann, der sich in der Arbeitswelt bis zur Erschöpfung aufgerieben hat, nimmt ein Blatt Papier zur Hand. Und siehe da. Alles in ihm faltet sich wohltuend auseinander, Ruhe breitet sich aus.

Obendrein klopft das Glück an seine Tür. Er lernt seine jetzige Lebensgefährtin, eine Schwerinerin, kennen. Liebend gern zieht er zu dieser „wunderbaren Frau in diese schöne Stadt“. Alsbald eröffnet er hier den kleinsten Schmuckladen Schwerins. Der liegt jedoch so versteckt, das nur wenige ihn und seinen selbst gemachten Silberschmuck entdecken.

Ein Fingerzeig aus Japan

Eines Tages verirrt sich eine Japanerin in sein Geschäft. Schweigend betrachtete sie das Regal mit seinen Origami-Figuren. Zwei Wochen später flattert ein Paket aus Japan ein - darin ein Faltbuch und Washi, japanisches Papier. Joachim Helm durchströmt ein Gefühl von Dankbarkeit. Auf ihre bescheidene, ruhige Art hatte sie seine Arbeit wertgeschätzt und ihm seinen Weg gezeigt.

Als dann noch eine Kundin zu ihm sagt: „Warum gehen Sie nicht an die Ostsee, dahin, wo das Geld lockerer sitzt“, hält ihn nichts mehr. Er verkauft seinen kleinen Schmuckladen und schafft sich von dem Geld ein Marktzelt an. Auf Usedom will er einen Sommer lang testen, ob jemand seinen Origami-Schmuck kauft. Joachim Helm kann sein Glück kaum fassen. Der Andrang ist so groß, dass er mit dem Falten nicht hinterher kommt.

Von der Hand in den Kopf

Damit sein Schmuck schweiß- und regenbeständig ist, lackiert er ihn vorsichtig. Egal ob auf Usedom, der Insel Poel oder einem Kunstmarkt, langweilig ist es nie für ihn. Stets wird er an seinem Stand von vielen Kindern umringt, mit denen er nebenbei bastelt. Viele von ihnen kommen irgendwann wieder, die Tüten voll mit Papierwesen. Dann strahlt Joachim Helm mit ihnen um die Wette.

„Origami ist einfach goldwert für Kinder“, sagt er. „Ich bin dafür, es an den Schulen als Unterrichtsfach einzuführen. So wie es in Israel der Fall ist. Origami ist nämlich nicht nur irgendein Bastelspaß. Die Faltkunst, eine 1000-jährige Tradition aus China, die in Japan weiterentwickelt wurde, fördert die Konzentration. Also das, woran es vielen Kindern heutzutage mangelt. Außerdem stupst Origami das kreative Denken an. Biologie, Geometrie, Mathe… alles fließt mit ein.“

Und was macht Joachim Helm im Winter? Natürlich für Nachschub sorgen. Mit der Brille auf der Nase faltet er seine fabelhaften Tierwesen und vor allem viele Kraniche mit beweglichen Flügeln. Mit diesen Glücksbringer-Vögeln zieht er die Aufmerksamkeit der Leute auf sich. Ist jemand interessiert, drückt er ihm eine Bastelanleitung in die Hand und sagt: „Probier den mal aus. Ein kleines weißes Blatt reicht aus. Mehr brauchst du nicht.“

Text: Anja Bölck