21.03.2023

Wie relevant sind Bibliotheken in MV?

Grit Wilke steht vor einem Tisch und stützt sich auf einen Stapel Bücher. Im Hintergrund stehen Bücherregale.
Grit Wilke vom dbv-Landesverband und Leiterin der Stadtbibliothek Schwerin

Via Streaming-Dienst und Onleihe erreichen Bibliotheken Nutzende immer und auf allen Endgeräten. Grit Wilke vom dbv-Landesverband über Schließungen und Chancen der Bibliotheken, besonders auf dem Land.

Vom Medienhort zum Aufenthaltsort

Bücher, Tonies, Filme, Spiele, Lesehilfen und 3D-Drucker. Das Angebot der Bibliotheken ist so vielfältig. Nutzende jeden Alters und Bildungsgrads können am gehorteten Wissen teilhaben – nach Möglichkeit zeit- und ortsunabhängig. 

Die Bibliotheken des Landes streben nach diesem Ideal. Dennoch mussten einige kleinere Bibliotheken wie die in Grabow, in Strasburg und Grimmen schließen. Sinkende Besucherzahlen nach der Pandemie und steigende Kosten für beispielsweise Energie und Personal stellen die Einrichtungen vor Herausforderungen. Die Schweriner Bibliotheksleiterin Grit Wilke sitzt im Vorstand des Deutschen Bibliotheksverbandes – Landesverband MV. Mit uns sprach sie über die aktuelle Situation der großen und besonders kleinen Bibliotheken im Land.

Frau Wilke, wie relevant sind Bibliotheken in MV?

Grit Wilke: Bibliotheken haben einen Bildungsauftrag. Sie bieten Menschen kostenlosen Zugang zu Medien und Wissen. In einem Flächenland wie MV sind besonders kleinere Bibliotheken auf dem Land wichtig.

Warum?

Grit Wilke: Wir wollen allen Menschen den Zugang zu Bibliotheken ermöglichen. Einige verfügen nur über knappe finanzielle Möglichkeiten und sind eingeschränkt mobil. Wenn Kleinstadtbibliotheken schließen, rückt die Bibliothek in der nächstgrößeren Stadt für Jüngere und Ältere oft in unerreichbare Ferne.   

Setzt sich der Landesverband deshalb besonders für Bibliotheken auf dem Land ein?

Grit Wilke: Das ist ein Grund. Aber vor allem geht es um Netzwerkarbeit und Zusammenhalt. Die größeren Einrichtungen unterstützen die kleineren. 

Können Sie das an einem Beispiel veranschaulichen? 

Grit Wilke: Ich leite die Bibliothek in Schwerin. Wir haben drei Standorte und 15 Festangestellte. Die Stadtbibliothek ist eine öffentliche Bibliothek in kommunaler Trägerschaft, außerdem erfahren wir viel Unterstützung durch das Ehrenamt. Dementsprechend groß ist unser Rückhalt in der Bevölkerung. Das können kleinere Bibliotheken auf dem Land mit ein bis zwei Festangestellten und Ehrenamtlern oft nicht stemmen. 

Also sollten sich Bibliotheken zusammenschließen. Ein Verbund aus mehreren Einrichtungen kann sicherlich mehr bewirken. Haben Sie ein Beispiel?

Grit Wilke: Ein aktuelles Beispiel ist der Streamingdienst filmfriend. Den können Mitglieder der Schweriner Stadtbibliothek seit Oktober kostenlos und werbefrei nutzen: Arthouse-Kino aus aller Welt, Genrefilme, geprüfte Kinderfilme und vieles mehr. Die Entscheidung für dieses digitale Angebot haben wir uns lange und gut überlegt. Die Kosten tragen wir aus unserem Budget. Nehmen unsere Nutzenden das Angebot gut an, verlängern wir den Vertrag. Für kleinere Bibliotheken ist das sehr kostspielig und verschlingt einen Großteil ihres Budgets. Unsere Lösung: Ein Verbund aus mehreren kleineren Bibliotheken teilt sich die Kosten. Der zusätzliche Streamingdienst bereichert das Medienangebot der Nutzerinnen und Nutzer, das direkt zuhause genutzt werden kann.

In einigen Städten öffnen Bibliotheken schon sonntags – ähnlich wie Museen. Dann haben die Menschen Zeit für den Medienkonsum. Geht der Trend auch in MV zu flexibleren Öffnungs- bzw. Nutzungszeiten?

Grit Wilke: Wir denken viel weiter. Mit Streamingdienst und Onleihe können Nutzende Medien längst von zu Hause aus konsumieren. In Schwerin können Nutzende dank Automatisierung ihre analogen Medien wie Bücher, CDs oder Spiele bereits außerhalb der Öffnungszeiten zurückgeben. In naher Zukunft möchten wir unsere Räume gern 24/7 bereitstellen. Nutzerinnen und Nutzer können sich mit ihrem Ausweis Zugang verschaffen. Dafür muss in einem zweiten Schritt die jetzt vorhandene Technik u. a. um ein Kamerasystem erweitert werden, eine entsprechende Software ist notwendig und nicht zu vergessen ist natürlich ein Zugangspaneel im zentralen Eingangsbereich der Bibliothek. 

Die Automatisierung entlastet ihre Mitarbeiterinnen. Sie könnten neue Aufgaben übernehmen.

Grit Wilke: Vorsicht. So einfach ist das nicht. Wir sondieren und sortieren mehr als nur Medien. Wenn die Bibliothek vormittags geschlossen ist, betreuen wir Kita- und Schulgruppen. Wir organisieren Lesungen und Veranstaltungen. Das kostet alles viel Zeit. Dazu schauen wir stetig, wie wir unser Angebot verbessern und erweitern können. 

Was schwebt Ihnen da vor?

Grit Wilke: Wir möchten künftig auch Workshops anbieten, zum Beispiel zu Robotic für Jugendliche. 

Dieses Thema erwarte ich aber nicht direkt in einer Bibliothek. 

Grit Wilke: Aber darum geht es. Bibliotheken sind mehr als eine Ausleihe, sondern eine Lern- und Begegnungsstätte. Mit gut überlegten Themen bleiben wir relevant. Wir müssen weiter denken als bis zum nächsten Bücherregal. So wie sich der Buchmarkt wandelt, so verändert sich auch das Verständnis einer Bibliothek.

Das sind eine Menge Herausforderungen. Dazu kommen steigende Energiekosten und Personalmangel. Wie sollen kleine Bibliotheken das alles stemmen? 

Grit Wilke: Das klappt zum Großteil nur im Verbund. Allerdings können alle Bibliotheken nicht mehr alles anbieten. Die kleineren Häuser in den Flächen sollten herausfinden, was ihre Nutzerinnen und Nutzer erwarten. Dabei müssen sie sehr feinfühlig abwägen. Die Herausforderungen hoher Kosten und fehlenden Personals werden bleiben. Darum müssen sie ihre Ressourcen sehr überlegt einsetzen: Wo werben sie Fördermittel ein? Welche Veranstaltung organisieren sie? Welchen Schwerpunkt setzen die einzelnen Bibliotheken. Alles kostet Geld, aber besonders Zeit.

Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste?

Grit Wilke: Die kleineren Bibliotheken – aber auch die Großen – müssen im Gespräch bleiben. Mit ihren Besucherinnen und Besuchern. Mit dem Ehrenamt. Mit den Kommunen. Mit anderen Bibliotheken.